Im Gespräch mit unserem Journalist Stephan Bader sagt Walter Stauffacher, Mitglied des SPO-Patientenbeirats, wirklich gute Ärzt:innen seien nicht nur fähige «Maschinisten», sondern berücksichtigten auch die psychischen Folgen von Operationen und Kranksein. Stephan hat diese Aussage mit ihm vertieft, um zu verstehen was das konkret bedeutet.
Welche Erfahrungen haben dich zu diesem Schluss gebracht?
Ich habe über die Jahre die ganze Bandbreite von Ärzt:innen erlebt: sehr bescheidene, empathische Menschen mit hervorragenden fachlichen, aber eben auch persönlich-menschlichen Fähigkeiten. Und auf der anderen Seite auch arrogante, narzisstische Herren in Weiss, deren Umgang mit Patient:innen und Pflegepersonal in einzelnen Situationen nur noch beschämend zu nennen ist. Dass es nicht damit getan ist, nur die «Hardware» zu flicken, wurde mir nach meiner grossen Herz-Operation besonders deutlich.
Was ist da passiert?
Ich habe meine Gesundheit lange dem Beruf untergeordnet und sehr ungesund gelebt. Als mein Körper 2015 die Notbremse zog, waren die drei Hauptstämme meiner Herzarterien zu 93, 95 und 96 Prozent verschlossen, der untersuchende Arzt bezeichnete mich als «medizinisches Wunder». Ich bekam sofort einen fünffachen Bypass. Der Herzchirurg war hervorragend, mir geht es heute innerhalb gewisser Grenzen wieder bestens, ich mache mehrmals pro Woche Sport und ausgedehnte Bergwanderungen. Ich habe ihm 2019 ein Dankesschreiben von der Rothornhütte 1600 Höhenmeter oberhalb von Zermatt geschickt.
Aber?
Nach der Operation fiel ich in ein Loch, hatte Angstzustände, wurde depressiv. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet worden und fühlte mich mit den postoperativen Folgen allein gelassen. Ich brauchte zwei Jahre, bis das Vertrauen in meinen Körper und mein nun geflicktes Herz wieder einigermassen hergestellt war. Seit 2016 bin ich bei einem Kardiologen in Behandlung, der auf psychosomatische Aspekte spezialisiert ist. Ab da ging es aufwärts. Dieser Arzt ist für mich bis heute ein top Ansprechpartner im Spannungsfeld «Hardware geflickt – Software spukt». Ein absoluter Glücksfall.
Ist es denn realistisch, generell zu erwarten, dass Ärzt:innen diese Komponente abdecken?
Im Zusammenhang mit Herz-Kreislauferkrankungen muss das das Ziel sein. Ich bin kein Einzelfall: Die Wechselwirkungen zwischen Herz und Psyche sind belegt, es gibt dafür mittlerweile ein eigenes Fachgebiet: die Psychokardiologie. Belastungen des Herz-Kreislauf-Systems können zu Angststörungen oder Depressionen führen und umgekehrt. Darauf müssen Patient:innen vorbereitet werden, schon ein ausführliches Gespräch kann beim Umgang enorm helfen. Das gab es bei mir nicht, und beim Austrittsgespräch ging es darum, wie viele Treppenstufen ich zu Hause habe und ob ich einen Notfallknopf anschaffen sollte – aber nicht darum, was ich tun kann, wenn ich Angst habe.
Wie könnte es konkret besser gehen?
Ein integrativer Ansatz ist entscheidend. Es gibt erfreulicherweise Anzeichen, dass sich etwas tut und diese Zusammenhänge mehr in den Fokus rücken. Am Unispital Zürich gibt eine psychokardiologische Sprechstunde, am Inselspital Bern heisst es andersherum: «Kardiopsychologie». In Deutschland bestehen Einrichtungen, wo speziell geschulte Ärzt:innen auch die psychische Seite von Herzerkrankungen beleuchten, schon etwas länger. Die Ärzte müssen, um auf die vorherige Frage zurückzukommen ja auch nicht alles selbst machen, sie können sich im Team aufteilen oder Psychotherapeuten hinzuziehen. Aber bei allen Beteiligten braucht es ein Bewusstsein für diese Wechselwirkungen: Teilweise wurde ich damals nicht ernstgenommen und meine Beschwerden mit Tipps wie «Trinken Sie Verveine-Tee» abgetan.
Was kannst du Patient:innen mit Herz-Kreislauferkrankungen sonst noch aus deiner Erfahrung mitgeben?
Ein enormer Gewinn sind für mich die sogenannten «Herzgruppen», die es in allen Schweizer Regionen gibt. Auch dort wird man von speziell geschulten Leuten betreut, es gibt auf Herzpatienten zugeschnittene Bewegungsangebote, aber mindestens so wertvoll ist der Austausch mit anderen Betroffenen, man hat einen Ort für den Redebedarf, den die Verarbeitung einer Herz-OP unweigerlich mit sich bringt. Von diesem Angebot bin ich so überzeugt und begeistert, dass ich mich bei der Herzgruppe Lenzburg mittlerweile ehrenamtlich im Vorstand engagiere.
_Stephan Bader, freier Mitarbeiter Kommunikation
Brauchen Sie weiterführende (psychologische) Hilfe nach einer eingreifenden Diagnose?
In manchen medizinischen Bereichen ist die umfassende Betreuung für Patient:innen mit lebensverändernden Diagnosen vorhanden. In gewissen Bereichen der Onkologie und Kindermedizin oder auch zum Beispiel bei der Behandlung von Adipositas, also starkem Übergewicht, wird die psychologische Betreuung durchaus von Anfang an angeboten, wohingegen in anderen Bereichen kaum (wie auch Walter über seine Erfahrungen mit der Kardiologie schildert) oder gar nicht. Dies kann auch von Spital zu Spital stark variieren; in manchen Ländern ist diese Praxis der umfassenden Betreuung weit(er)verbreitet.
Psychologische Auswirkungen von schwerwiegenden Eingriffen oder Diagnosen sind aber meistens posttraumatisch und setzen nicht selten erst nach dem Ereignis ein. Dadurch ergibt sich Unterstützung bei Bedarf auch ausserhalb des behandelnden Spitals oder der behandelnden Fachperson. Sprechen Sie zum Beispiel mit Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin, diese:r kann Sie an geeignete Anlaufstellen verweisen. In vielen Bereichen bestehen auch Selbsthilfegruppen, wenn Sie sich lieber mit anderen Betroffenen austauschen.
Ausserdem ist es vor allem auch ratsam, ihr engstes familiäres und soziales Umfeld einzubinden. Sollte Sie die Situation nachträglich plötzlich überwältigen, können diese die Signale deuten und Hilfe für Sie organisieren. Dies kann in einer Zeit, in der Sie vielleicht kurz selbst dazu nicht in der Lage sind, äusserst hilfreich sein.