Monika Reber, Präsidentin von Haus- und Kinderärzte Schweiz, im Gespräch.
Frau Reber, dass eine Person oder Stelle den Überblick über ein Patientendossier hat und über akute Behandlungssituationen hinaus ansprechbar ist: Ist das nicht eigentlich, was das Hausarztmodell in der Schweiz verspricht?
Wir Hausärztinnen und Hausärzte verstehen das in der Regel so. Wir verstehen uns als primäre Ansprechperson, die im Rahmen der hausärztlichen Kompetenz Abklärung und Therapie anbietet und die Verantwortung für die längerfristige und umfassende Betreuung übernimmt.
Was dürfen Patient:innen diesbezüglich von ihrem Hausarzt erwarten?
Ich kann nicht für alle sprechen, aber die Rolle des Hausarztes in der Führung der Krankengeschichte und das ist eine aktiv koordinierende Rolle. Wenn alle drei Partner ihren Teil beitragen – Hausarzt, mitbehandelnde Spezialisten, aber auch der Patient, indem er seinen Hausarzt immer informiert und vor Weiterweisungen an weitere Spezialisten Rücksprache nimmt –, klappt das gut. In meiner Praxis arbeiten wir gezielt mit denjenigen Spezialisten, mit denen die Zusammenarbeit gut funktioniert.
Warum entsteht dennoch ein Empfinden von Mangel?
Dass es insgesamt zu wenige Hausärzte gibt und damit weniger Zeit pro Patienten, trägt sicher seinen Teil dazu bei, dass weniger koordiniert wird und mehr «kleine Feuer gelöscht» werden. Ein Problem ist auch, dass die ärztliche Aus- und Weiterbildung heute hauptsächlich im Spital stattfindet: Was es bedeutet, Patient:innen über längere Zeit zu begleiten, kommt so zu kurz. Auf Patientenseite ist es der persönliche Leidensdruck. Haben Menschen Angst oder leiden stark, möchten sie dies verständlicherweise möglichst schnell ändern. Durch die hohen Krankenkassenprämien entsteht heute aber auch eine hohe Erwartungshaltung.
Eine zu hohe?
Teilweise. Manche Patient:innen verstehen unter «umfassend»: das ganze therapeutische und diagnostische Spektrum und dies möglichst schnell. Sie möchten im Krankheitsfall einen Termin innerhalb von 1-2 Tagen, möglichst noch zu einem bestimmten Zeitpunkt. Wenn medizinisch keine akute Dringlichkeit gegeben ist, können wir häufig nicht auf diese Wünsche Rücksicht nehmen. Auch unrealistisch ist, dass Hausärzte und Hausärztinnen immer persönlich für ihre Patient:innen verfügbar sind. Vertretungen innerhalb von Praxen – und bei Notfällen auch durch Notfallmediziner – sind notwendig, damit wir Ärzte und Ärztinnen Arbeit und Privatleben langfristig in einer gesunden Balance halten können. Für die Patient:innen hat dies aber auch Vorteile: Eine Betreuung im interprofessionellen Team erhöht die Verfügbarkeit und die Qualität.
Hausärzte sind auch «Gatekeeper». Sollte man den Zugang zu fachärztlichen Behandlungen einschränken und diese Rolle der Hausarztmedizin stärken?
Hausarztbasierte Gesundheitswesen sind erwiesenermassen kostengünstiger und auch qualitativ besser. In der Schweiz sind wir aber überzeugt, dass die persönliche Wahlfreiheit sichergestellt werden muss. Die Modelle mit der Prämienvergünstigung bei freiwilligem Entscheid, erst den Hausarzt aufzusuchen, haben sich sehr bewährt und sollten gefördert werden.
Welche anderen Verbesserungsansätze sehen Sie?
Es braucht einen gesellschaftlichen Dialog darüber, was sinnvoll ist und was wir uns leisten wollen. Auch bei der Prävention und Gesundheitskompetenz haben wir in der Schweiz noch viel Verbesserungspotential.
Wer kann neben ärztlichen Fachpersonen zu einer umfassenden Betreuung beitragen?
In unseren Praxen sind dies unsere Medizinischen Praxisassistenten (MPA) und Medizinischen Praxiskoordinatoren (MPK). Zunehmend werden noch weitere Gesundheitsberufe einen Beitrag leisten – bei chronischen und komplexen Erkrankungen zum Beispiel die sogenannten APN: Das sind Pflegefachpersonen mit erweiterten Kompetenzen und Befugnissen. Aber jegliche Gesundheitspartner können einen wertvollen Beitrag leisten, von Spezialärzten und Spitälern über Spitex und Therapeuten bis zur Sozialarbeit und Seelsorge.
Was braucht es, damit sich Patient:innen im Gesundheitswesen noch besser aufgehoben fühlen?
Die Relevanz der Haus- und Kinderarztmedizin ist in der Bevölkerung, aber auch in der Politik unbestritten – das macht Mut. Wenn es gelingt, diese mit dringlichen und wichtigen Reformen zu stärken und dem akuten Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sowie die Anforderungen der ambulanten Versorgung in der Aus- und Weiterbildung stärker zu betonen, haben wir etwas Wichtiges erreicht. Mit dem Ja des Bundesrats zum revidierten ambulanten Tarif Tardoc, der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären medizinischen Leistungen (EFAS), über die im November abgestimmt wird, und der geplanten Stärkung der Aus- und Weiterbildung von Ärzten, insbesondere Haus- und Kinderärzten, über einen Berufsbildungsfonds sind einige wichtige Punkte aufgegleist.
Das Ziel ist also, dass die Hausärzte die zentralen Ansprechpartner für Patientenanliegen bleiben und in einer aktiv koordinierenden Rolle gestärkt werden.
Ja, unbedingt. Hausarztmodelle sind genau dafür da, dass Behandlungsprozesse aktiv gesteuert werden können.
_Stephan Bader, Freelancer
(Bild: Monika Reber)
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