Patientenverfügungen werfen grundsätzliche Fragen in Bezug auf Leben und Tod auf. Wer sollte überhaupt eine Patientenverfügung machen? Und wie unterscheidet sich die Patientenverfügung plus (auch „Advance Care Planning“ genannt) von der regulären Patientenverfügung? Wir haben die langjährige SPO-Beraterin Christina Strässle zu diesen Themen befragt. 

Christina, du bist zertifizierte Beraterin für das sogenannte «Advanced Care Planning» (ACP). Was ist der Unterschied zwischen ACP und einer Patientenverfügung?

Der wichtigste Unterschied ist sicher, dass Patientenverfügungen für Situationen am Lebensende gelten – das «Advanced Care Planning» hingegen umfasst Planungen für die eigene Behandlung, unabhängig davon, ob die Urteilsunfähigkeit vorübergehend oder dauerhaft ist. Für drei Situationen sind beim ACP Therapieziele definiert:

  1. in akuter Notfallsituation
  2. bei länger dauernder Urteilsunfähigkeit (z. B. Postakutphase)
  3. bei dauerhafter Urteilsunfähigkeit

Zudem ist das ACP viel differenzierter: Es ist nicht nur eine Willenserklärung, sondern ein kontinuierliches Gespräch zwischen Klient*in und Berater*in. Die Beratung beinhaltet eine ausführliche Reflexion und Formulierung der Wertvorstellungen und Behandlungswünsche der betroffenen Person und ist somit wesentlich detaillierter – aber auch anspruchsvoller für die Klient*in.

Das Thema Patientenverfügung/ACP kann sehr belastend sein. Was sind das für Menschen, die sich von dir zu diesem Thema beraten lassen?

Die meisten befinden sich in einer der grössten Umbruchphasen im Leben: Kurz oder nach der Pensionierung. Von einem Tag auf den anderen die berufliche Tätigkeit aufzugeben, ist anspruchsvoll. Viele Menschen machen sich in dieser Zeit viele Gedanken um ihr eigenes Leben. Jüngere Personen melden sich eher weniger, es kommt aber auch vor. Die jüngste Person, die ich zu dem Thema beraten habe, war 25 Jahre und hatte gerade ihr erstes Kind geboren. Sie hatte bei ihren Grosseltern gesehen, was alles schief laufen kann, wenn man sich nicht rechtzeitig überlegt, wie man behandelt werden möchte – daher war sie auf das Thema sensibilisiert.

Welche Fragen haben die Menschen an dich? Gibt es besondere Ängste und Sorgen, die mit dem Thema verbunden werden?

Es gibt durchaus Menschen, die sehr rational mit dem Tod und der eigenen Verletzlichkeit umgehen können. Darin kann aber auch gerade die Schwierigkeit bestehen: Diese Themen sind per se emotional und für mich als Beraterin ist es wichtig, die Emotionen herauszuspüren, um dem Klienten zu einer für sie passenden Einschätzung zu verhelfen.

Dann gibt es aber auch Menschen, die sehr offen über ihre Gefühle reden können. Gerade, wenn es konkret über den Tod geht. Die meisten stellen im Verlauf des Gesprächs sogar fest: «Ich merke erst jetzt, dass ich mir noch gar nicht sicher bin, was ich will». Auch stellt sich häufig ein Überforderungsgefühl ein. Das muss auch so sein – es braucht Zeit, um sich diesem Thema würdig zu widmen.

Wie läuft eine ACP-Beratung eigentlich konkret ab?

Die Beratung ist in mehrere Teile gegliedert. Im ersten Teil geht es zunächst um die Wertvorstellungen der Klient*in. Zunächst müssen Berater*in und Klient*in sich kennenlernen. Immerhin geht es um das Elementarste im Leben: Die eigene Verletzbarkeit, nicht zuletzt auch der eigene Tod. Es geht um existentielle Fragen wie: Lebe ich gerne? Wie lange möchte ich überleben, wenn ich möglicherweise nie mehr zu Bewusstsein gelangen werde? In diesem Teil sollte die Berater*in sehr zurückhaltend sein, wichtig ist erst einmal die Reflexion der Klient*in.

Bei der ACP-Beratung geht es ja darum, die drei zu Beginn genannten Situationen zu besprechen. Meine Aufgabe ist es hier, den Klient*innen zu helfen, sich mögliche Situationen vorzustellen:  Bei der akuten Notfallsituation sind die meisten Menschen recht klar und können schnell entscheiden. Schwierig wird es bereits bei der zweiten: Was soll mit mir passieren, wenn meine Urteilsunfähigkeit länger andauert? Da realisieren die meisten, was es bedeuten kann, wenn man zwar überlebt, aber möglicherweise gelähmt oder stark eingeschränkt ist. Möchte ich lebensverlängernde Massnahme? Krankheit, Tod, Verletzlichkeit, das ist etwas Abstraktes, ein Graubereich. Alles dreht sich um die grundlegende Frage: Wann ist für mich genug?

Um diese Frage zu beantworten, braucht es häufig einige Gespräche. Das ist nicht in einer Stunde abgetan.

Wem würdest du raten, eine ACP-Beratung in Anspruch zu nehmen?

Ich persönlich finde, dass eine Beratung besonders für Menschen geeignet ist, die sich ohnehin Gedanken über Behandlungsmöglichkeiten machen, oder sogar Ängste davor haben. Die ACP-Berater*innen können Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen und die Klient*innen darin unterstützen, Therapieziele festzuhalten für Situationen, in denen sie möglicherweise urteilsunfähig sind. So kann sichergestellt werden, dass die eigenen Wünsche auch umgesetzt werden.

Generell denke ich: Das Wichtigste ist, sich mit diesen Themen auseinander zu setzen, mit seinen Angehörigen darüber zu reden. Jeder von uns kann in die Situation kommen, nicht mehr selbst entscheiden zu können. Entlasten wir doch unsere Angehörigen und sorgen wir für diesen Fall vor.

Weitere Hintergrundinformationen zum Thema ACP finden Sie hier.