Eine Patientin fordert beim Spital, das sie zuletzt behandelt hat, eine Kopie ihres Patientendossiers an. Ein alltäglicher Vorgang im heutigen Gesundheitswesen und ihr gutes Recht. Doch die Patientin hat Pech – das Spital ist in der Zwischenzeit Konkurs gegangen und der Insolvenzverwalter berichtet ihr, das Dossier sei unauffindbar. Das ist für die Patientin offensichtlich ein Problem: Sollte das Patientendossier nicht mehr auftauchen, hat sie eine erhebliche Lücke in ihrer Krankengeschichte, und das bedeutet für alle künftigen Abklärungen und Diagnosen ein Informationsdefizit. Und das wiederum kann im schlechtesten Fall dazu führen, dass falsche Behandlungsentscheidungen getroffen werden, weil wichtige Alarmzeichen fehlen.

Weiteres zum konkreten Fall erfahren Sie im SRF Kassensturz-Beitrag vom 20.04.2021

Hinter dem Extremfall steckt ein grundsätzliches Problem

Sicherlich ist ein insolventes Spital ein aussergewöhnlicher Fall. Aber das Grundproblem dieser Patientin ist eines, das allzu viele Menschen in der Schweiz nur allzu gut kennen:

Viel zu oft müssen Patient*innen selbst die Koordination und Kommunikation für ihre Behandlung übernehmen, weil der Informationsfluss zwischen den unterschiedlichen Ärzten und Spitälern nicht funktioniert.

Patient*innen berichten uns regelmässig, dass sie ihren Ärzt*innen wichtige Informationen aus ihrem Dossier mündlich oder telefonisch mitteilen müssen. Nun sind viele Patient*innen sehr gut über ihre Gebrechen informiert. Erwarten, dass sie jederzeit penibel aufpassen und dieses Wissen dann auch noch medizinisch präzise wiedergeben können (oder eben: dass man sie selbst das Patientendossier bestellen lässt, um das tun zu können), kann aber nicht der Ansatz sein. Man kann Patient*innen nicht das ganze «Management» ihrer Gesundheit überlassen – nicht zuletzt weil Menschen ja im Zweifel krank oder verletzt sind, wenn sie Patient*in sind. Warum liegt die Bring- bzw. Holschuld bei ihnen? Warum liegen Ärzt*innen solche Informationen, die ja von ihren Kolleg*innen stammen, nicht ganz selbstverständlich vor? Besonders für chronisch Kranke kann dieses Daten-Organisieren zum ärgerlichen, belastenden und unbezahlten Teilzeitjob ausarten.

Ein Grund für den Missstand: Es gibt im Gesundheitssystem keine einheitlichen Dokumentationssysteme. Daten werden digital und analog in unterschiedlichster Form erfasst, jedes Spital, jede Praxis und jedes Heim macht es anders. Das geht zulasten sowohl der Patient*innen als auch der behandelnden Fachpersonen. Beide haben ohne zentrale, jederzeit zugängliche Informationsplattform keine Chance, zuverlässig und schnell an Patientendaten zu kommen. Dabei sind die Informationen aus vergangenen Behandlungen für Fachpersonen enorm wichtig – und dass Patient*innen keinen Zugang zu ihren eigenen Daten haben, ist ohnehin absurd. Zudem dauert es oft allzu lange, bis Patientendossiers ausgehändigt werden – bei besonders unkooperativen Ärzt*innen sogar Jahre! – obwohl eine maximale Frist von 30 Tagen vorgeschrieben ist. Damit wird Patient*innen eine wichtige Grundlage für medizinische Entscheidungen (beispielsweise auch für das Einholen einer Zweitmeinung) oder zur Klärung von Konflikten mehr oder weniger entzogen.

Das EPD würde die Probleme für beide Seiten lösen

Komplikationen wie diese könnten vermieden werden, wenn es ein elektronisches Patientendossier (EPD) gäbe. Sowohl die behandelnden Fachpersonen als auch die Patient*innen selbst hätten jederzeit Zugang zu allen Daten und Diagnosen. Das EPD wurde ursprünglich für Anfang 2021 angekündigt. Der Möglichkeit für Patienten, ein EPD zu eröffnen, hat sich aber weiter hinausgezögert – auf unbestimmte Zeit. Die offiziellen Zertifizierungsstellen wurden teilweise noch gar nicht von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle akkreditiert. Es bleibt also völlig unklar, wann Patient*innen ihre EPD eröffnen können.

Das ist unbefriedigend – und unbefriedigend ist auch die Kommunikation des Bundes zum weiteren Zeitplan. Diese wäre wichtig, damit entsprechende Begleitungsangebote für jene Personen geplant und aufgegleist werden können, die keine «digital natives» sind und Unterstützung bei der Eröffnung des EPD benötigen. Bislang gibt es keine benutzerfreundlichen Informationsangebote, wann und wie es weitergeht. Es ist lediglich ein «Benachrichtigungsdienst» eingerichtet, der registrierte Personen automatisch benachrichtigt, wenn ein EPD in ihrer Region verfügbar ist: https://www.patientendossier.ch/de/bevoelkerung/epd-eroeffnen

Das Nebeneinander der vielen Dokumentationssysteme und mangelnde Zugänglichkeit zu den eigenen Daten ist ein unzumutbarer Zustand für Patient*innen. Die SPO fordert, dass dies nun mit dem nötigen Nachdruck angegangen wird. Eine rasche und vor allem benutzerfreundliche Umsetzung des EPD im Sinne der Patient*innen – und solange es eben noch nicht soweit ist, zumindest eine dazu passende, transparente Kommunikationskultur – sind wichtig und dringend.