Wir bei der SPO beraten immer wieder Menschen in belastenden gesundheitlichen Situationen, die sich vom Arzt oder von der Ärztin nicht verstanden fühlen.

Menschen sind verschieden. Nicht nur in ihrer Art der Interaktion mit anderen, sondern auch in ihren emotionalen Bedürfnissen und Empfindungen, die sie benötigen, um sich im Gespräch und im zwischenmenschlichen Miteinander wohlzufühlen.

Oft hören wir von unseren Klienten, dass sie sich von Ärzten nicht ernstgenommen und allein gelassen fühlen. Nicht selten wird eine psychosomatische Komponente durch Fachpersonen vermutet, was Patienten verunsichert und das Gefühl des Nicht-Verstanden-Werden bestärkt.

Gemeinsam mit Heidi Voser, Mitglied des SPO-Patientenbeirats, haben wir uns intensiv mit dem Thema der «professionellen Nähe» auseinandergesetzt. Insbesondere wollten wir aus der Patientenperspektive erfahren, welche Faktoren dazu beitragen, dass sich Patienten von ihren Ärzten verstanden und unterstützt fühlen. Dazu haben wir Heidi Voser gezielt zu ihren Erfahrungen befragt und wertvolle Einsichten gewonnen.

Heidi, was bedeutet professionelle Nähe für Dich?
Aus meiner Sicht und Erfahrung hat die professionelle Nähe vor allem mit der Kommunikation etwas zu tun. Ich verbinde es sehr stark mit der Grundhaltung eines Menschen.

Ein Arzt oder eine Ärztin ist für mich die Verbindung zwischen mir als Patientin und der «Fachwelt».
Das bedeutet, dass die Fachperson welche für mich zuständig ist, mich über die neusten Erkenntnisse informiert. Sie gibt mir die Informationen weiter, die für meine chronische Erkrankung relevant sind.

Dies ist die Grundebene für die Zusammenarbeit.

Ein weiterer wichtiger Teil ist die professionelle Beziehung. Ich meine damit, dass ich von der Fachperson ernstgenommen werde und dass sie aus ihrer Professionalität heraus Interesse für mich als Person zeigt – eine Person, welche neben der chronischen Krankheit auch ein Leben und einen Beruf hat. Denn die Krankheit ist nur eine Facette von mir. Dazu gehört für mich auch die Zeit, die sie mir zu Verfügung stellen sollte und welche ich schliesslich auch bezahle.

Die Grundhaltung beginnt meines Erachtens bereits bei einem Arzt-Bericht. In diesem Bericht wird über mich gesprochen, aber nur Fachpersonen verstehen, was drin steht. Ich als Laie verstehe nicht, was über mich geschrieben wird.

Für mich ist es eine Grundvoraussetzung, um eine gute Beziehung aufbauen zu können, und sich als mündige Patientin gut informieren zu können.

Wie wichtig ist Dir professionelle Nähe?
Sehr wichtig. Denn ich setze es dem Vertrauen gleich. Ich muss Vertrauen haben, dass ich bei der richtigen Person bin. Ich möchte mir sicher sein, dass diese Person aus seiner professionellen Haltung heraus das Beste für mich möchte.

Hattest Du schon einmal das Gefühl gehabt, dass ein Arzt / eine Ärztin oder eine Pflegekraft zu distanziert war? Wenn ja, wie hat sich das auf Deine Behandlung ausgewirkt? Was fehlte Dir in dieser Situation?
Ja, ich hatte dieses Gefühl schon sehr oft. Es hat sich aber nicht gross auf meine Behandlung ausgewirkt, denn ich habe es jeweils angesprochen und die Situation hat sich gebessert. Oder falls nicht, habe ich einen anderen Arzt / eine andere Ärztin gesucht.

Die Grundhaltung der Ärzte ist mir sehr wichtig. Wenn ich sehe, dass die Fachperson sich keine Zeit für mich nimmt, desinteressiert wirkt, nicht zuhört oder auch zu wenig Informationen weitergibt, dann spreche ich es direkt an. Anfangs war es schwierig, so etwas anzusprechen. Aber ich habe es mir angeeignet.

Was denkst Du, kann ein Arzt / eine Ärztin oder eine Pflegekraft tun, um professionelle Nähe aufzubauen? Welche Verhaltensweisen sind wichtig, um eine Vertrauensbasis zwischen Patienten und Fachperson zu schaffen?

Die Grundhaltung der Ärzte scheint mir sehr wichtig zu sein. Das heisst für mich:

  • Patienten auf Augenhöhe begegnen
  • Die Patienten als vollständige Menschen wahrnehmen. Die Person ist nicht die Krankheit. Krank sein ist kein Beruf. Patienten sind in anderen Fachbereichen auch Experten.
  • Sich für Patienten Zeit nehmen
  • Interesse zeigen
  • Übersetzungsarbeit: Fachwörter so umschreiben, dass es auch Laien verstehen
  • Patienten nicht lange warten lassen, wenn Termine abgemacht wurden
  • Sich über Patienten informieren, bevor diese in die Sprechstunde kommen

Meine Empfehlung ist, dass Patienten die wichtigsten Auszüge aus ihrer Krankengeschichte zuhause haben und zu neuen Terminen/Sprechstunden mitnehmen. Das heisst: immer eine Kopie verlangen, wenn das nicht klappt, nachfragen.

Kannst Du uns von einer Erfahrung berichten, in der Du dich von einem Arzt einer Ärztin oder einer Pflegekraft besonders gut unterstützt gefühlt hast? Was hat dazu beigetragen? Was hat diese Fachperson getan, um professionelle Nähe herzustellen?
Zu meinem aktuellen Rheumatologen habe ich eine gute Beziehung. Ich habe das Gefühl, dass er mir die Informationen ungeschminkt weitergibt. Ich habe zudem die Möglichkeit, mich zu informieren, und bei ihm nachzufragen, ohne dass er dies als störend empfindet. Er nimmt sich Zeit, beantwortet meine Fragen und denkt mit. Obwohl er mich mittlerweile gut kennt, kann er auch eine gesunde Distanz herstellen und alles wieder von weiter weg zu betrachten, die aktuelle Therapie überdenken oder sogar  hinterfragen.

Gibt es bestimmte Dinge, die Ärzte oder Pflegekräfte vermeiden sollten, um professionelle Nähe nicht zu gefährden?
Ja, man sollte die Patienten schon mal nicht lange warten lassen. Und wenn es doch zu einer Verzögerung kommt, sich beim Patienten entschuldigen. Der Erstkontakt entscheidet oft über die Beziehung: hört der Arzt zu? Schaut er/sie mich an oder werde ich nur als Fall gesehen, und die standardisierten Fragen werden durchgecheckt und ins System „getöggelt“. Die Kommunikation ist zentral, da kann sehr vieles geschehen, was eine professionelle Nähe gefährden kann. Beispielsweise sollten sich Ärzte vor einer Sprechstunde über einen Patienten informieren. Und wenn sie keine Zeit hatten, dies offen ansprechen. Dann ist es auch okay.

Die professionelle Nähe gefährden würde aus meiner Sicht auch eine Fachperson, die mir Dinge vorenthält oder mich in Untersuchungen schickt, ohne mich zu informieren.

Was für mich auch sehr wichtig ist: Ich achte immer darauf, wie mir ein Arzt oder eine Ärztin die Hand gibt. Ich bin Rheumapatientin – und wenn der Händedruck Schmerzen bereitet, dann stimmt es für mich schon nicht. Dies zeigt mir, dass sich die Fachperson überhaupt nicht in mich als Patientin einfühlen kann. Es ist zwar ein kleines Detail, aber für mich ein Zeichen für die professionelle Grundhaltung.

Wie wichtig ist für Dich das Vertrauensverhältnis zu Deinem Arzt/deiner Ärztin?
Es muss dieser Person selbst wichtig sein, mich gut zu begleiten und zu beraten. Und dies muss ich spüren!  Wenn ich mich gut aufgehoben fühle wirkt sich dies auf meine Behandlung aus.

Ich denke, es ist auch wichtig, dass Patienten für ihre Rechte einstehen. Bei anderen Dienstleistungen geben wir auch Feedback. Wieso sollen wir dies bei Ärzten nicht tun? Man kann nicht davon ausgehen, dass das Gegenüber merkt, dass wir unzufrieden sind: wir sollten es ansprechen. Natürlich ist es wichtig, dass Patienten nicht ausfällig werden. Denn der Ton macht die Musik. Aber die professionelle Beziehung sollte angesprochen werden. Bedenken sollten geäussert werden dürfen.

Hast Du schon einmal eine Situation erlebt, in der Du das Gefühl hattest, dass das Vertrauen zu Deinem Arzt deiner Ärztin oder Pflegekraft gebrochen wurde?
Ja. Es kam einmal vor, dass ich mich vor einer Untersuchung ausziehen musste Dann wurde ich mit einem Handtuch über eine längere Zeit ohne Information alleine stehen gelassen. Der Raum war sehr kalt und ich habe mich extrem unwohl gefühlt.

Ein weiteres Beispiel: In einer Notfall-Situation habe ich versucht meinen Hausarzt zu erreichen und ich habe ihn 4 Tage telefonisch nicht erreichen können.

Was würdest du Patienten mit auf den Weg geben, um eine gute professionelle Beziehung zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin aufzubauen?
Sich auf Arztgespräche vorbereiten. Fragen sollen gestellt werden und die Erwartungen, die man hat, sollen dem Arzt der Ärztin von Anfang an mitgeteilt werden. Nachfragen und sich nicht aus zeitlichem Druck drängen lassen. Mutig sein, und fragen, ob diese Erwartungen auch erfüllt werden können. Falls diese nicht erfüllt werden können, weitersuchen.

Die SPO ist sehr dankbar für Heidis grosses Engagement im Patientenbeirat und dafür, dass durch diese tatkräftige Unterstützung unsere Sichtweise und Arbeit für Patient*innen gestärkt wird.

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